Tuesday, April 11th, 2006
Gestern war gar nichts los; deswegen auch kein Update. Heute war es schön warm, wenn auch neblig und ich bin mal wieder rausgekommen. Habe aus Ungeduld und mangels Lesekenntnissen den falschen Bus erwischt. Als ich es merkte, sah ich draußen eine U-Bahn-Station und bin schnell ausgestiegen. Derzeit gibt es hier nur vier U-Bahn-Linien, insofern ist der Liniennetzplan recht übersichtlich – die Haltestellen werden sogar auf englisch erwähnt. War gar nicht so schlecht mit dem Verfahren, denn die brandneue U-Bahn-Station sah schon reichlich futuristisch aus. Ich habe manchmal bei Bahnsteigen die irrationale Angst, mich könne jemand vor den einfahrenden Zug stoßen und sehe mich sogar ab und zu um, um mich zu vergewissern. Was wohl ein Psychoanalytiker dazu sagen würde? Hier hätte sich diese Paranoia erübrigt, denn die gesamte Station ist verglast, dahinter Werbung. Die Türen zum Gleis öffnen sich erst, sobald der Zug steht. Abgefahren! Die Züge selbst sind auch neu, sehr geräumig und quasi endlos lang. Der ganze Zug ist ein Abteil. Die Hälfte der Insassen ist (zumindest auf dieser Linie) entweder mit ihrem Handy befasst, hört Musik aus schicken MP3-Playern oder beides.
Mein erstes Ziel war die Gegend um den Hauptbahnhof. Laut Reiseführer die gefährlichste Gegend aber ich bin halt neugierig. Ich war also auf einiges gefasst und entsprechend vorsichtig. Was der Reiseführer nicht erwähnt hatte, war der Krieg, der hier bis gestern getobt zu haben schien: Die ganze Gegend sah aus wie nach einem schweren Luftangriff! Auf dem ersten Bild ist im Hintergrund noch das “M” der Metrostation zu sehen. Auf Transparenten werden die Leute aufgefordert, die Gegend zu räumen um eine Entschädigung einzustreichen und umzusiedeln (habe ich mir zu Hause erklären lassen). Scheint aber nicht jeden zu interessieren.
Über das letzte Bild war unsere Familie gar nicht so glücklich. Sie möchte ungern, dass es in Deutschland nun als repräsentativ für China wahrgenommen wird. Ich find’s super! Ich stelle mir den Typen in seiner fatalistischen Gleichgültigkeit als Künstler vor, der ein philosophisches Statement über den Zustand seines Viertels abgibt. Womöglich war das aber auch mal das Klo; sind schließlich noch ein paar Kacheln zu sehen 😉 Die Frauen im Hintergrund scheint es jedenfalls nicht zu kratzen.
Habe von dem Viertel eine Videoaufnahme gemacht (erst “Download” klicken, kurz warten, dann “klick this Link”), die ich nur empfehlen kann, weil sie die Atmosphäre besser einfängt. Bin einfach mit der Kamera vorm Bauch weitergerollt. Cool finde ich den Mann, der das Stück Papier wegfegt. Immerhin: ein Anfang ist gemacht!
Dann ging’s weiter in Richtung Innenstadt. War mal wieder sehr schlechte Sicht. Das kommt nach meinem derzeitigen Kenntnisstand doch nicht in erster Linie von der Luftverschmutzung sondern ist einfach Nebel. Das ist die ungezoomte und unveränderte Aufnahme des Suzhou-Flusses; es waren heute also im Prinzip nur Nahaufnahmen möglich.
In einem Park beim Hauptbahnhof saßen diese Drei sprichwörtlich auf gepackten Koffern. Desweiteren ein Polizist.
Mein Schwager sagt, die nächsten Bilder zeigen das ehemalige japanische Viertel. Als die Japaner im zweiten Weltkrieg China überfielen, provozierten sie die Chinesen mit dem Ziel, Shanghai (schon damals die größte Stadt Chinas) in drei Tagen und China in drei Monaten zu erobern. Die Chinesischen Verteidiger lieferten sich jedoch eine erbitterte Schlacht um Shanghai, die die Japaner erst nach drei Monaten und unter hohen Verlusten für sich entscheiden konnten. Es kamen 200.000 Chinesen und 70.000 Japaner, darunter viele Zivilisten, ums Leben. Nicht zuletzt diese Schmach führte dazu, dass die Japaner, als sie danach die damalige Haupstadt Nanking eroberten, bittere Vergeltung übten und eines der grausamsten Massaker des Zweiten Weltkrieges begangen, wobei im Westen diese Episode des 2. Weltkrieges relativ unbekannt ist. Die “Vergewaltigung von Nanking” ist wohl der Hauptgrund für den Hass der Chinesen auf die Japaner. Dennoch finde ich es sehr anstrengend immer wieder dem kaum verhohlenen Hass zu begegnen. Die Chinesen sind der Meinung, die Japaner hätten sich nie für die Verbrechen entschuldigt und ich hatte das auch geglaubt. Tatsächlich haben sich der Kaiser, der Premierminister und weitere hochrangige Mitglieder der Regierung in den vergangenen Jahrzehnten Dutzende Male offiziell entschuldigt und ihr tiefes Bedauern für das den anderen Asiaten zugefügte Leid entschuldigt. Es besteht der traurige Verdacht, dass die chinesische Regierung die Vorurteile anheizt, um von Problemen im eigenen Land abzulenken.
Wer mich wegen meiner Skates anlacht und mir zuruft, muss sich auch ein Photo gefallen lassen!
Habe dann den Buddhistischen Tempel von Shanghai aufgesucht. Man wollte mich wegen der Skates nicht reinlassen, so dass ich die Einlasser erst mit Charme und “Woa Xiao Xing” (Ich vorsichtig) überzeugen musste.
Was der goldene Buddha da auf der Brust trägt, ist keineswegs dem “Führer” gewidmet sondern stellt in Hinduismus und Buddhismus ein Glücks- oder Sonnensymbol dar.
Danach bin ich in das dazugehörige vegetarische Restaurant gegangen.
Das Essen war in Ordnung. In der Suppe waren allerdings so viele glitschige Zutaten der undefinierbaren Art, dass ich sie niemals gegessen hätte, wäre ich mir nicht 100%ig sicher, dass das ein vegetarisches Restaurant war. Auf dem Klo haben sich gleich zwei Köche die Hände gewaschen. Vielleicht mag das dem Vegetarier-Ethos entsprechen, absolut keine tierischen Zutaten in das Essen gelangen zu lassen aber es war in jedem Fall ein beruhigender Anblick.
Draußen in den Garküchen muss man bei der Hygiene schon leichte Abstriche machen.
Das Leitungswasser in Shanghai ist nicht trinkbar. Deshalb werden die Haushalte auf diese Art beliefert.
Skulptur am Straßenrand
Kleiner Park mit Grotte. Bin ja als Vielskater nicht unbedingt auf ebenen Untergrund angewiese aber die Grotte war eine Herausforderung, die ich fast bereut hätte. Kann es mir nicht zuletzt wegen der Kamera nicht leisten mich aufs Mett zu legen.
Dieses Monument wurde anlässlich der chinesisch-sowjetischen Freundschaft erreichtet. Die währte allerdings nicht lange. Mao sah sich nach Stalins Tod als legitimen Führer der sozialistischen Welt und wahren Vertreter des Marxismus. Die Sowjets sahen das anders, so dass sich die Chinesen fortan vom sozialistischen Osteuropa distanzierten.
Habe dann noch mal eine von diesen verboten teuren Shopping-Malls betreten. Wer kann sich so etwas leisten? Cool sahen die Fuß- und Wadenmassagegeräte aus. Kosten aber leider 360,- Euro.
Den riesigen Jin-Mao-Tower (rechts im Bild) habe ich ja schon ab und zu erwähnt. Daneben ist eine Baustelle auf der das Shanghai World Financial Center errichtet wird. Das wird dann evtl. für ein Jahr das höchste Gebäude der Welt sein. Auf dem Planungsbild ist ein früherer Entwurf; das Loch oben ist jetzt viereckig geplant und als Aussichtsplattform für Touristen gedacht.
Die nächsten Tage wird’s regnen. Also eher keine Updates. Guiming geht’s minimal nesser.